Eine Reise ins virtuelle Carnuntum

Wie Archäologen ohne Schaufel unter die Erde schauen

Alte Ruinen und Ausgrabungen üben schon seit meiner Kindheit eine ganz besondere Anziehungskraft auf mich aus, virtuelle Realitäten faszinieren mich, seit ich Anfang der 90er-Jahre das erste Mal eine VR-Brille auf der Nase hatte. Meine Begeisterung für Archäologie auf der einen und für modernste Technologien auf der anderen Seite waren über Jahrzehnte hinweg ein willkommenes Kontrastprogramm. Jetzt verschmelzen meine beiden Welten plötzlich miteinander. Mit Hilfe von Bodenradar, Geomagnetik und 3D-Simulationen sind die Archäologen heute imstande, Spuren früherer Zivilisationen unter der Erde aufzuspüren, ohne auch nur einmal den Spaten anzusetzen, und aus den daraus gewonnenen Daten realitätsnahe Modelle einer Jahrhunderte alten Kultur auf dem Computerbildschirm zu neuem Leben zu erwecken.

Mit der neuen Prospektionstechnologie wurden in Carnuntum ein drittes, bisher unbekanntes Amphitheater sowie ein ehemaliges Vergnügungsviertel entdeckt.

Das Ludwig Boltzmann Institut für archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie, kurz LBI ArchPro, spielt eine internationale Vorreiterrolle, wenn es darum geht, unter die Erde zu schauen. Carnuntum ist ein idealer Standort, um diese Technologien anzuwenden, da das Areal der ehemaligen Römerstadt im Laufe der Jahrhunderte nur an ganz wenigen Stellen überbaut wurde, und daher sowohl für das Bodenradar einfach zugänglich ist, wie auch für Messungen aus der Luft leicht überflogen werden kann.

Die Messungen sind so hochauflösend, dass selbst noch Details im Zentimeterbereich erfasst werden können. So gelang es beispielsweise, ein antikes Kellergewölbe, das noch immer mehrere Meter tief unter der Erde begraben ist, detailgetreu auf dem Computer zu rekonstruieren.

Das römische Kellergewölbe liegt mehrere Meter tief unter der Erde, dennoch haben die Archäologen eine haargenaue Vorstellung davon, wie es einst ausgesehen hat.

Aus der Vielzahl von Daten, die dabei in den letzten Jahren gesammelt wurden, ließ sich ein völlig neues, realistisches Bild der Stadt Carnuntum vor rund 1700 Jahren erstellen. Erst vor fünf Jahren entdeckten die Forscher unter der Erde die Reste einer Gladiatorenschule, dieser Tage präsentierten sie ein antikes Vergnügungsviertel sowie ein drittes, bislang unbekanntes Amphitheater der Öffentlichkeit. Letzteres war schon in der Antike niedergerissen und mit einem neuen Stadtviertel überbaut worden – ein Beweis dafür, dass schon damals im Rahmen großer, wichtiger Veranstaltungen, wie etwa anlässlich der Stadt-Erhebung von Carnuntum oder der Drei-Kaiser-Konferenz, ganze Stadtteile komplett umgestaltet wurden, vergleichbar mit den heutigen Baumaßnahmen rund um Olympische Spiele oder Fußballweltmeisterschaften, oder der Erhebung von St. Pölten zur niederösterreichischen Landeshauptstadt. „Es handelte sich damals in Carnuntum um Umbauten, die von Rom angeordnet wurden, und die massiv die gesamte Kulturlandschaft verändert haben“, schilderte Wolfgang Neubauer, Direktor des LBI ArchPro, bei der Präsentation der jüngsten Forschungsergebnisse.

Um die Erkenntnisse auch einem größeren Publikum zugänglich zu machen, wurde ein Video erstellt, das unter http://www.youtube.com/watch?v=Nub2jjg19Yg auf Youtube abgerufen werden kann und einen eindrucksvollen Einblick in das Leben in dem neu entdeckten Stadtviertel in der römischen Metropole gewährt und zeigt, wie eine komplette Freizeit-Infrastruktur mit Tavernen, Souvenirläden und einer Großbäckerei rund um die beliebten Gladiatorenspiele entstanden ist.

Ich persönlich finde es ja ein wenig schade, wenn archäologische Funde nur noch virtuell betrachtet werden kann. Wenn man sich nicht immer wieder selbst vor Augen führt, dass es sich hier um absolut realistische, penibel aus wissenschaftlicher Arbeit erstellte Ansichten handelt, könnte man genauso mit einer Hollywood-Produktion zu tun haben, mit dem Unterschied, dass die Action und die obligatorische Lovestory fehlen. Aber zum Glück sind archäologische Prospektion und virtuelle Archäologie (noch) kein voller Ersatz für richtige Grabungen, sondern eine ausgesprochen wertvolle Ergänzung. Wie Franz Humer, der wissenschaftliche Leiter der Römerstadt Carnuntum, betonte, kann auf Grund anschaulicher Messergebnisse auch leichter mit dem Land und den Gemeinden über weitere archäologischen Maßnahmen verhandelt werden.

So zieht Carnuntum mit seinen in original römischer Bautechnik rekonstruierten Gebäuden Jahr für Jahr zigtausende Besucher aus dem In- und Ausland in seinen Bann. Ergänzt wird das Angebot mit dem in der Nachbargemeinde Bad Deutsch Altenburg untergebrachten Museum Carnuntinum, das heuer mit der Ausstellung „Der Adler Roms“ spannende Einblicke in das Leben der römischen Legionäre eröffnet.

Die dreidimensionale Visualisierung der Forschungsergebnisse – hier im Museum Carnuntinum – macht die Archäologie auch für die jüngsten Besucher begreifbar. (c) 2017 Uwe Fischer

http://www.carnuntum.at