Santa und der elektronische Wunschzettel

DER STANDARD Donnerstag, 10. Dezember 1998, Seite C1

 

Weihnachten im Zeitalter der Kommunikationstechnologie

Santa und der elektronische Wunschzettel

Und wieder stand Weihnachten vor der Tür. Wie all die Jahre zuvor galt es für Santa Claus und das Christkind, die letzten Vorbereitungen für das bevorstehende Fest zu treffen. Doch war es anders als früher, denn die moderne Informationstechnologie hatte ihre Arbeit grundlegend verändert . . . Ein modernes Weihnachtsmärchen von Uwe Fischer-Wickenburg.

Santa schlürfte gelangweilt an seiner Pina Colada und ließ sich die Sonne auf den kugelrunden Bauch brennen. Hier auf Hawaii herrschte nicht diese Eiseskälte wie im Elfen-Werk am Nordpol, deretwegen er sich den dicken, roten Mantel gekauft hatte, hier war es das ganze Jahr hindurch angenehm warm.

„Na, glaubst Du noch immer, daß der Umstieg auf elektronische Wunschzettel ein Unsinn war?“ fragte der Weihnachtsengel, der sich im Schatten einer Palme räkelte, während seine Finger über die Tastatur seines Notebooks glitten. „Ich weiß nicht so recht,“ entgegnete Santa. „Es mag zwar effizienter sein, aber irgendwie gehen mir die alten Zeiten ab.“

„Ja, in mancher Hinsicht war es früher wirklich einfacher,“ warf das Christkind ein. „Ich erinnere mich noch, als Santa und ich die einzigen Mitbewerber waren, und wir den Weltmarkt unter uns aufteilen konnten. Aber im Internet gibt es jetzt plötzlich tausende Firma, die weihnachtsartige Dienstleistungen über alle Grenzen hinweg anbieten, und das auch noch zu Dumping-Preisen. Jetzt müssen wir sehen, wo wir das Geld hernehmen, um konkurrenzfähig zu bleiben.“

„Deshalb habt ihr eure beiden Unternehmen ja auch fusioniert,“ unterbrach der Weihnachtsengel. „Und die Idee, Kooperationspartner in der Wirtschaft zu suchen, war doch auch nicht so schlecht, oder? Aber mit den Monopolstellungen von damals ist es angesichts der globalen Liberalisierung des Weihnachtsmarktes natürlich vorbei.“

Ja damals, erinnerte sich Santa zurück: Als Coca Cola ihn für eine Werbekampagne verpflichtet hatte, war er noch das Zugpferd, und er konnte die Bedingungen diktieren. Aber jetzt sah das anders aus. Er ging in Gedanken die verschiedenen Angebote der Softwarefirmen durch. Sein Rentier „Vixen“ auf „Quicken“ umzutaufen wäre ja gerade noch vertretbar gewesen, aber seinen treuen Gefährten Rudolph künftig nur noch „Outlook 99“ zu rufen, das war Santa doch etwas zuviel.

„Nun mach einmal nicht so ein zerknirschtes Gesicht,“ meinte das Christkind. „Es wird sich schon etwas geeignetes finden.“

Santa seufzte tief. „Du hast leicht reden, Christkind. Seit Bill Gates erfahren hat, daß Du in Europa die Geschenke durchs Fenster bringst, ist er von einer Sponsoring-Idee hellauf begeistert. Aber der Schornstein, durch den ich komme, paßt eben nicht in sein Windows-Konzept.“

Er machte einen tiefen Zug aus seinem Glas und lehnte sich zurück. „Aber vielleicht sollte ich ohnehin bald in Pension gehen. Wenn ich nur daran denke, wie es in den Städten von Jahr zu Jahr schwerer wird, einen Parkplatz für den Rentierschlitten zu finden…“

„Unmöglich!“ unterbrach der Weihnachtsengel. „Die E-Commerce-Lösung, die ich installiert habe, ist zwar ideal für das Bestellwesen und für die Gegenabrechnung der Geschenke mit den Eltern der Kinder, aber nur Du hast die weltweiten Vertriebsstrukturen, die notwendig sind, innerhalb von 24 Stunden Artikel rund um den Globus auszuliefern.“

„Ich habe bereits mit einem meiner Söhne (EMS) und dem heiligen Ludwig (DHL) verhandelt,“ widersprach Santa. „Theoretisch wäre sogar eine Kooperation mit Amazon.com möglich.“ – „Wieso gerade mit denen?“ – Santa schmunzelte: „Na, was wäre das für eine Geschichte über den Internet-Handel, wenn Amazon.com darin nicht vorkäme…?“

Ein leises Fiepen unterbrach die Unterhaltung, und das Christkind griff zu seinem Satelliten-Handy. „Hallo… ja, was gibt es?“ Santa und der Engel beobachteten, wie das Christkind immer ruhiger und blasser wurde. „Was ist los?“ fragte Santa aufgeregt.

„Der Server am Nordpol ist abgestürzt.“ antwortete das Christkind mit zitternder Stimme. „Die Elfen waren gerade dabei, im Datawarehouse eine Analyse über das Computerspiel-Verhalten der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren zu erstellen um zu sehen, ob doch noch mehr Brutalo-Ballergames eingekauft werden müssen, als plötzlich der Bildschirm blau wurde und eine kryptische Fehlermeldung erschien.“

„Und weiter…?“ drängte Santa. – „Der Server wurde neu gebootet, aber alle Daten waren weg.“

„Der X-Mas-Virus!“ entfuhr es dem Weihnachtsengel erschrocken. „Ich hätte nie geglaubt, daß uns das auch einmal passieren könnte. Gibt es ein Backup?“ Das Christkind schüttelte betroffen den Kopf. „Leider nein, das war uns immer zu aufwendig…“

„Da haben wir die Bescherung, oder besser gesagt, heuer keine Bescherung.“ seufzte der Engel. „Das war’s dann also…“

„Nun laß mal den Kopf nicht hängen,“ lachte Santa Claus mit einem freundlichen Augenzwinkern. Die anderen sahen ihn irritiert an. „Ich hab doch nie wirklich das Gerede vom papierlosen Büro geglaubt,“ klärte er seine Partner auf. „Deshalb habe ich alle Wunschzettel gleich bei ihrem Eintreffen ausgedruckt.“

„Na dann los,“ strahlte das Christkind. „Spannt die Rentiere ein, die Arbeit ruft. Auf zum Nordpol…!“ Der Weihnachtsengel schaltete den GPS-Empfänger, den er auf Rudolphs Geschirr geschnallt hatte, ein und gab die entsprechenden Koordinaten ein. Die Nase des Rentiers blinkte nach einem leisen Piepsen dreimal rot auf, dann raste das Gefährt mit seinen Insassen dem Horizont entgegen. Und keiner verschwendete einen Gedanken an die Zukunft – ob Weihnachten überhaupt Jahr-2000-fähig ist…